Migration

UNESCO-Handbuch Reporting on Migrants and Refugees

Die Forschung zur Berichterstattung über Migration und Vertreibung im Globalen Süden und im Globalen Norden ist ein zentrales Anliegen des EBI-Forschungsteams. Das "Handbook for Journalism Educators: Reporting on Migrants and Refugees" richet sich an Journalistenausbilder:innen in verschiedenen Journalismuskulturen. Es wurde von drei EBI-Forscher:innen Susanne Fengler, Monika Lengauer und Anna-Carina Zappe herausgegeben und verfasst. Das UNESCO-Handbuch setzt Maßstäbe in der Journalismusausbildung und wurde auf der International Association for Media and Communication Research (IAMCR) in Nairobi 2020 vorgestellt

Das Handbuch „Reporting on Migrants and Refugees“ ist interdisziplinär angelegt und richtet sich an journalistische Institute, Ausbilder:innen und Studierende sowie an Medienschaffende in aller Welt. Dreizehn Kapitel vermitteln Grundlagenwissen und praktisches Know-how über die Rahmenbedingungen, Ursachen und Auswirkungen von Flucht und Migration, zugeschnitten auf die Bedürfnisse angehender und praktizierender Journalist:innen.

„Dass das Erich-Brost-Institut der TU Dortmund für die UNESCO eine so politisch brisante Publikation erstellt hat, ist auch ein Zeichen für das Vertrauen und die Wertschätzung, die das Institut weltweit genießt“, sagte Susanne Fengler anlässlich der internationalen Präsentation des Handbuchs. Mitherausgeberin Monika Lengauer betonte, dass Journalist:innen „einen schnellen Zugang zu verlässlichen und aktuellen Zahlen und Fakten brauchen und die Möglichkeit haben müssen, die richtige Terminologie zu überprüfen. Das Handbuch bietet beides“. Mitherausgeberin Anna-Carina Zappe wies darauf hin, dass es bei dem Handbuch „auch darum geht, Journalistinnen und Journalisten in ihrer ethischen Verantwortung zu stärken. Deshalb befasst sich das Handbuch auch mit traumasensibler Berichterstattung“. Darüber hinaus befasst sich das Handbuch mit berufsbezogenen Fragen und wichtigen Aufgaben für Medienmacher:innen und Redaktionen weltweit: Welche Forschungsergebnisse zur Migrationsberichterstattung gibt es? Welche Wirkung hat diese auf das Publikum? Wie können Geschichten kreativ aufbereitet und auf den Markt gebracht werden? 

Guy Berger, ehemaliger Sekretär des Internationalen Programms für die Entwicklung der Kommunikation (IPDC) bei der UNESCO, schätzt das Handbuch als „ein sehr gehaltvolles Werk und einen Meilenstein bei der Unterstützung von Ausbilder:innen, die Journalist:innen auf eine qualitativ hochwertige Berichterstattung vorbereiten, insbesondere angesichts der heutigen beispiellosen Flut von Desinformationen“.    

Handbuch in verschiedenen Sprachen verfügbar

Im Einklang mit seiner multikulturellen Perspektive ist das Handbuch in ungekürzten Übersetzungen des englischen Originaldokuments in mehreren Unterrichtssprachen erhältlich, darunter Arabisch, Französisch, Kisuaheli, Russisch und Spanisch.

Die arabische Übersetzung wurde im November 2022 im jordanischen Medieninstitut in Amman JMI mit einer breiten Vertretung von Interessengruppen, darunter Dozent:innen, Journalismusstudierende, UNESCO, UNHCR, UNRWA und Journalist:innen, die über das Thema aus der Region berichten, vorgestellt. Auslandskorrespondentin Jane Arraf betonte in ihrer Grundsatzrede, wie wichtig es ist, dass Journalist:innen angesichts ihrer Aufgabe, „ein möglichst umfassendes Bild über ein Thema zu vermitteln, in so vielen Teilen der Welt zu einem Streitpunkt geworden ist“.

In seiner Videobotschaft hob der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, hervor, wie wichtig es ist, sich an Journalistenausbilder:innen zu wenden, um sie auf eine verantwortungsvolle und respektvolle Berichterstattung, die Verpflichtung zur Ethik und interkulturelle Kompetenz vorzubereiten und so Migrant:innen und Flüchtlinge vor Fake News zu bewahren, „da die Medien besser in der Lage sein werden, komplexe Situationen zu entschlüsseln“. 

Die ungekürzte französische Übersetzung des Handbuchs wurde am 22. November 2022 in Tunis, Tunesien, vorgestellt. Der algerische Journalist Massinissa Benlakehal äußerte den Wunsch, dass „solche Leitfäden in allen Schulungen für Fachjournalisten verwendet werden sollten“. 

In einem Bericht zum Welttag der Pressefreiheit 2022 veröffentlichte die UNESCO einen Bericht über das Handbuch und zitierte Will Vassilopoulos, einen Videojournalisten der Agence France-Presse (AFP). Er hält diese Ressource für eine „unschätzbare Information zu einer Reihe von Themen, die ich bei meinen umfangreichen Berichten über die Migrationskrise im Mittelmeer und zuletzt über die beispiellose Flüchtlingskrise an der polnisch-ukrainischen Grenze sehr nützlich fand. Es ist ein hervorragendes Nachschlagewerk, das jeder Journalist lesen sollte, bevor er über Migranten und Flüchtlingen berichtet".  

Das Handbuch basiert auf fast einem Jahrzehnt Forschungs- und Projektarbeit, in dem Migrant:innen und Flüchtlingen eine Stimme gegeben, und die Kapazitäten von Journalist:innen in den Herkunfts-, Transit- und Zielländern aufgebaut wurden. Während die EBI-Forschung gezeigt hat, dass afrikanische Medien häufig die Medienagenda europäischer Medien kopieren, versucht das Handbuch, Geschichten über Migration und Vertreibung zu fördern, die unterschiedliche Kulturen widerspiegeln.  


Von links nach rechts: Susanne Fengler, Monika Lengauer, der algerische Journalist Massinissa Benlakehal, Fatma Louati, die die englische Originalfassung des Handbuchs mit grossem Sachverstand in eine ungekürzte, authentische Fassung ins Arabische übersetzt hat und die Übersetzung ins Französische mit ihrem exzellenten Wissen ebenfalls begleitet hat.

Zwei länderübergreifende vergleichende Analysen der Nachrichtenberichterstattung in den Herkunfts- und Zielländern von Flüchtlingen und Migrant:innen liefern die Ausgangsdaten für weitere Projektarbeiten. 

Die erste vergleichende Studie zur Migrationsberichterstattung in 22 afrikanischen und europäischen Medien zeigt, dass Migrant:innen und Flüchtlinge in den Zielländern mehr Aufmerksamkeit erhalten als in den Herkunftsländern. Im Gegensatz zur Berichterstattung in den europäischen Medien konzentrierte sich die Berichterstattung in afrikanischen Medien auf Politiker:innen (20,8 %) und Vertreter:innen internationaler Organisationen (23,8 %). Bürger:inneb, einschließlich Migrant:innen oder Flüchtlinge, spielten eine untergeordnete Rolle (12,5 %), ebenso wie Vertreter:innen der Zivilgesellschaft (14,9 %). Die „afrikanische Migrationsgeschichte“ zu erzählen, würde auch bedeuten, dass die Berichterstattung in Afrika beginnt, die Akteur:innen selbst einzubeziehen - aber in der Stichprobe der EBI-Forschung kam in weniger als einem von zehn Artikeln, die von den afrikanischen Nachrichtenagenturen veröffentlicht wurden, ein Migrant oder Flüchtling als Hauptakteur vor.

Fengler, S.; Bastian, M.; Brinkmann, J.; Zappe, A.-C.; Tatah, V.; Andindilile, M.; Assefa, E.; Chibita, M.; Mbaine, A.; Obonyo, L.; Quashigah, T.; Skleparis, D.; Splendore, S.; Tadesse, M.; Lengauer, M. (2020): Deckung der Migration - in Afrika und Europa: Ergebnisse einer vergleichenden Analyse von 11 Ländern. Journalistische Praxis 1/16, S. 140-160, https://doi.org/10.1080/17512786.2020.1792333


Titel der Studie "Stumme Migranten, laute Politik, gespaltene Medien", Quelle: OBS

Die zweite vergleichende Studie befasste sich mit der Berichterstattung über Migrant:innen und Flüchtlinge in 17 Ländern. Sie basierte auf einem Datensatz von 2.417 Nachrichtenartikeln, die in sechs beispielhaften Wochen zwischen 2015 und 2018 veröffentlicht wurden - fünfzehn europäische Länder sowie die Vereinigten Staaten und Russland (Fengler & Kreutler, 2020). Die Daten umfassten zwei Agenda-setzende Print- oder Online-Medien pro Land. Die Ergebnisse dieser Studie weisen auf die Notwendigkeit hin, sowohl europäische als auch afrikanische Journalist:innen zu schulen, um ihre recherchebasierte, umfassende Berichterstattung über Flüchtlings- und Migrationsthemen zu stärken.  

Fengler, S., Kreutler, M. (2020): Migration coverage in Europe's media. Eine vergleichende Analyse der Berichterstattung in 17 Ländern. Otto Brenner Stiftung. OBS Working Paper 39.  Frankfurt am Main https://www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/02_Wissenschaftsportal/03_Publikationen/AP39_Migration_EN.pdf


Entwicklung des Handbuchs über mehrere Jahre

Die in das Handbuch aufgenommenen Materialien wurden in einer Vielzahl von internationalen Konferenzen und Workshops erarbeitet und getestet. In diesen Kontexten lieferten Journalistenausbilder:innen, Journalist:innen, Vertreter:innen von Journalistenorganisationen und von Organisationen, die im Bereich Migration und Vertreibung tätig sind, unschätzbare Beiträge. In Schulungen wurden die neu entwickelten Lehrmittel erprobt, und alle Beteiligten reflektierten über kulturelle Sensibilität und Relevanz. Die forschungsbasierte Projektarbeit umfasste eine Spring School in Dakar, Senegal (2018) und eine Summer School in Casablanca, Marokko (2019), die von der Robert Bosch Stiftung finanziert wurden. 

Alle Beteiligten bestätigten, dass die Kapazitäten von Journalist:innen, die über Migration und Vertreibung berichten, dringend ausgebaut werden müssen - und dass die Redaktionen für dieses wichtige internationale Thema sensibilisiert werden müssen, das alle Gesellschaften in den Herkunfts-, Transit-, Ziel- und Rückkehrländern betrifft. 

Yoko Ono: Add Color (Refugee Boat)

Einer der Meilensteine bei der Entwicklung des Handbuchs war das partizipative Kunstwerk Yoko Ono: Add Color (Refugee Boat). Yoko Ono, eine der bekanntesten zeitgenössischen Künstler:innen, ist eine Multimediakünstlerin, die in den Bereichen Performance, Unterricht, Film, Installation, Musik und Schreiben arbeitet. Als Vorreiterin der Konzeptkunst, die seit den frühen 1960er Jahren Kollaboration, Publikumsbeteiligung und sozialen Aktivismus einschließt, fordert Yoko Ono das Verständnis des Betrachters von Kunst und der Welt um sie herum heraus. Sie ist bekannt als Aktivistin für den Frieden, die Gleichstellung der Geschlechter und die ökologische Nachhaltigkeit. Yoko Onos Kunstwerk wurde anlässlich der European Journalism Training Association (EJTA) des Erich-Brost-Instituts für Internationalen Journalismus an der TU Dortmund eröffnet und in die Lehre über die internationale Berichterstattung zu Migration und Flucht einbezogen. Das Kunstwerk war von Oktober 2019 bis Januar 2020 im Dortmunder U zu sehen und wurde im Rahmen der Jahreskonferenz  EJTA eröffnet. Die Konferenz brachte rund 90 Journalismusausbilder:innen aus 30 europäischen und afrikanischen Ländern zusammen, um die Berichterstattung über Migration und Flüchtlinge in verschiedenen Journalismuskulturen und Mediensystemen und aus unterschiedlichen Perspektiven zu diskutieren.

Prof. Dr. Susanne Fengler, Akademische Direktorin des Erich-Brost-Instituts für Internationalen Journalismus (EBI) an der TU Dortmund, dankte Yoko Ono für dieses „Geschenk an die internationale journalistische Ausbildung. Ihr partizipatorisches Kunstwerk führt unsere Journalismus-Studenten auf künstlerischem Wege zu einem der herausforderndsten Themen dieses Jahrhunderts - Migration und Flucht“. 

Yoko Ono hat sich mit dem Leid von Menschen beschäftigt, die vor Kriegen und Unterdrückung fliehen. Sie hat eine Reihe bedeutender Werke geschaffen, die sich auf diese Notlage beziehen, darunter FREIGHT TRAIN (1999), das erstmals auf dem Berliner Schlossplatz gezeigt wurde; ADD COLOR (REFUGEE BOAT) (1960/2016), das erstmals im Mazedonischen Museum für Zeitgenössische Kunst in Thessaloniki gezeigt wurde; INVISIBLE PEOPLE (2009-2017), das erstmals im Hotel Excelsior auf dem Lido in Venedig im Rahmen von OPEN 20 gezeigt wurde. Jedes Werk ist anders, hat aber die gleiche Grundidee.


Foto: Sven Dröge

MOOCs

Verschiedene MOOCs wurden entweder parallel entwickelt, wie z.B. Newsreel-Projekt oder im Anschluss an die Leitpublikation, wie z.B. das deutschsprachige Projekt Medien, Migration, Integration oder das CoMPASS-Projekt.

Die E-Learning-Plattform „Media-Migration-Integration“ hat den Stand der Integrations- und Migrationsforschung für die journalistische Praxis systematisch aufbereitet. Journalist:innen können eine strukturierte Einführung in die Recherche, Berichterstattung und Ethik der Integrations- und Migrationsberichterstattung sowie Best Practices und Strategien für eine publikumsorientierte Aufbereitung und redaktionelles Marketing nutzen. Die Plattform kann auch zur Fortbildung von Mitarbeiter:innen in NGOs, Stiftungen und Verwaltungen genutzt werden. Das Angebot umfasst einführende Texte, Best-Practice-Beispiele und Fallstudien, vertiefende Lektüre, Videos, Audios, Rollenspiele und Quizformate, die eine interaktive Didaktik bieten. Das Projekt zielt nicht zuletzt darauf ab, eine eklatante Lücke in der Aus- und Weiterbildung von Journalisten zu schließen. Obwohl das Thema Migration seit Jahren die Medienagenda und den öffentlichen Diskurs beherrscht, fehlt es an einem systematischen Fortbildungsangebot für Journalist:innen, die bei der Berichterstattung über Migration und Integration oft vor großen ethischen Herausforderungen stehen. Wir bieten damit eine zeitgemäße, strukturierte und digitale Lösung für die Journalistenausbildung im deutschsprachigen Raum", erklärt Prof. Susanne Fengler, Direktorin des Erich-Brost-Instituts für Internationalen Journalismus.  

Das Projekt wurde im Rahmen einer Kooperation mit dem Mediendienst Integration mit Mitteln des Kanzleramtes umgesetzt. Anna-Carina Zappe and Monika Lengauer sind Autorinnen von 7 Modulen: